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Handel im Wandel – Die disruptive Kraft künstlicher Intelligenz

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Der Handel, als einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige, sieht sich unter den Gegebenheiten von Industrie 4.0 einer enormen und vielschichtigen Aufgabe konfrontiert, die es gesellschafts- und zukunftsgerecht zu gestalten und zu lösen gilt. Der digitale Wandel induziert völlig neue Anforderungen und Erwartungen der Kunden und erzwingt so z.T. grundlegende Veränderungen herkömmlichen Handels.

Industrie 4.0

Die technische Entwicklung der letzten wenigen Jahre hat eine kaum vorstellbare Dynamik gezeigt. Nach Mechanisierung (Industrie 1.0), Massenproduktion (Industrie 2.0) und Automatisierung (Industrie 3.0) wird das Internet der Dinge und die Vernetzung cyber-physischer Systeme als vierte industrielle Revolution bezeichnet. Das Zusammenspiel der erreichten Soft- und Hardwarestandards in Generierung und Speicherung riesiger Datenmengen, leistungsfähiger, aber dennoch günstiger Rechnerkapazitäten und selbstlernender Algorithmen hat ein enormes Innovationspotenzial und eine ungeahnte disruptive Kraft im Anwendungsbereich künstlicher Intelligenz hervorgebracht. Hat eine erste Welle der Digitalisierung die reine Erfassung und Speicherung von Daten möglich gemacht, so ist Ziel der zweiten Digitalisierungswelle das Verstehen und Neu-Interpretieren dieser Daten.

Quelle: Contact Software

Wesentlicher Treiber dieser zweiten Digitalisierungswelle ist die künstliche Intelligenz (KI). Bereits jetzt hat sie Einzug in fast alle Wirtschafts- und Lebensbereiche gefunden und definiert Ansprüche, Möglichkeiten und Grenzen globaler Märkte und Wertschöpfungsketten neu.

Doch was bedeutet eigentlich (künstliche) Intelligenz?

Trotz unterschiedlicher Definitionsversuche wird unter Intelligenz im Kern ein recht einheitliches theoretisches Konstrukt verstanden. Der Duden definiert Intelligenz als „Fähigkeit [des Menschen], abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten“.[1] Zur Umschreibung der künstlichen Intelligenz ist der Definitionsansatz des US-amerikanischen Psychologen Robert Sternberg hilfreich, der Intelligenz auf mehreren Ebenen – nämlich im Rahmen analytischer, praktischer und erfahrungsbezogener Fähigkeiten – und vorrangig als Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt versteht.[2] Kann eine allgemeingültige Begriffsbestimmung der künstlichen Intelligenz nicht aufgezeigt werden, so kann doch die Definition der US-amerikanischen Computerwissenschaftlerin Elaine Rich eine allgemein sinnvolle Auslegung sein:

„Artificial Intelligence is the study of how to make computers do things at which, at the moment, people are better[.]“[3]

Diese Umschreibung unterstreicht den Anspruch und die temporale Dynamik der Leistungsfähigkeit von KI im Verhältnis zu natürlicher Intelligenz.

Wirkungspotenziale von KI

Prinzipiell liegen Bedeutung und Potenzial künstlicher Intelligenz darin, aus einer verfügbaren Anzahl an Daten logische Schlussfolgerungen zu ziehen und diese durch weiter hinzugewonnene Daten immer weiter zu validieren. Ultimatives Ziel ist die Durchführung von Entscheidungs- und Lernprozessen mit einem Ergebnis, wie es idealtypisch auch von der natürlichen Intelligenz des Menschen hervorgebracht würde. Vor diesem Hintergrund liegt das Wirkungspotenzial von KI darin, körperlich anstrengende und monotone Routinearbeiten an intelligente Systeme zu delegieren und so Ressourcen zu mobilisieren.

Quelle: PwC-Studie „Künstliche Intelligenz in Unternehmen 2019“

Aufgrund der zunehmenden Automatisierung können so Kreativitätspotenziale freigesetzt, neue Jobprofile geschaffen und bestehende anspruchsvollere Aufgabenfelder aus den Bereichen Physik, Mathematik, Statistik und IT erweitert werden. Das Council of Economic Advisers, das Beratungsorgan des Präsidenten der Vereinigten Staaten, hebt in diesem Zusammenhang vier Bereiche besonders hervor, die durch KI an Bedeutung gewinnen werden:

  • Arbeitsbereiche der Mensch-KI-Kollaboration
  • Arbeitsbereiche der Überwachung von KI-Einsatz durch Menschen
  • Arbeitsbereiche der Entwicklung neuer KI-Systeme
  • Ausweitung bestehender, sowie Bildung neuer Wirtschaftszweige durch KI[4]

Im Kielwasser eines hohen Digitalisierungsgrades und der Allgegenwart von Omni-Channel haben analog gestiegene Kundenerwartungen eine deutlich erhöhte Komplexität in allen Handelsprozessen zur Folge. Um seitens des Handels dieser steigenden Komplexität erfolgreich begegnen zu können, muss demnach eine gleichzeitige Automatisierung von Entscheidungen und Prozessen geschaffen werden. Laut einer im November 2019 veröffentlichten Analyse der Unternehmensberatung Arthur D. Little, wird der deutsche Handel durch den Einsatz von KI bis zum Jahr 2025 Kosteneinsparungen in Höhe von 61,2 Milliarden Euro bei gleichzeitigen Umsatzsteigerungen von 36,3 Milliarden Euro erzielen.[5]

Datengrundlage

Wesentliche Grundlage und somit auch erhebliche Herausforderung umfassender KI-Adaption im Handel, ist die automatisierte Wertschöpfung aus der aktuell noch weitgehend unstrukturierten Datenflut sein. Im Einzelhandel sind hierfür folgende fünf-dimensionale Datenquellen von besonderer Bedeutung:

  • Kunden: Social-Media-Daten, Transaktionsdaten, demographische Daten aus Kreditkarten- oder Kundenkarteninformationen, Umfragedaten über E-Mail, IP-Adresse / Anmeldungsdaten registrierter Nutzer, Nachverfolgung von Ladenbesuchern
  • Produkte: Artikelnummer, Information über Produktattribute und damit Einteilung in Produktgruppen
  • Zeit: Echtzeit-Messung von Kundenverhalten, Produktsortiment, Lagerbestände und Bestellungen
  • Ort: georäumlicher Standort des Kunden in Verbindung mit dessen Kaufhistorie
  • Kanal: Erfassung und Analyse der Kundenberührungspunkte von Omni-Channel-Daten

Händler, die KI-Lösungen im Einsatz haben, analysieren mehr Informationen und Daten (über Partner, Kunden, Produkte etc.) und gewinnen hierdurch einen enormen Wettbewerbsvorteil. Das aus dem Einsatz künstlicher Intelligenz erwachsende hohe Automatisierungspotenzial bedingt eine höhere Produktivität und Effizienz mit folgerichtig niedrigeren Verkaufspreisen (Wettbewerb) und / oder höheren Gewinnmargen bei umfassenden Kostensenkungen.

Nachholbedarf des deutschen Mittelstands

Obwohl im Rahmen der EHI-Studie „IT-Trends im Handel 2019“ 90 Einzelhändler im deutschsprachigen Raum künstliche Intelligenz als den mit Abstand wichtigsten Zukunftstrend der kommenden Jahre bestimmten, berichteten im gleichen Jahr gerade einmal vier Prozent der deutschen Unternehmen von einer aktiven Nutzung von KI.[6][7] Sollte es mittelfristig nicht zu einer deutlichen Steigerung der Implementierung intelligenter Systeme kommen, werden deutsche Unternehmen kritisch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren werden. Es werden die Unternehmen sein, die bereits jetzt als innovative Vorläufer den Weg bereiten, die auch zukünftig die Gewinne aus neu geschaffenen Geschäftsmodellen und Kanälen ziehen (Bsp. Amazon Alexa).

Die Gründe für die zögerliche Umsetzung verfügbarer Technologien in die Praxis sind vielschichtig und liegen unter anderem in fehlendem Fachwissen der Verantwortlichen, unzureichender IT-Infrastruktur sowie den oft widrigen Bedingungen zur Anknüpfung an bereits vorhandene Prozesse und Systeme. Neben den oben genannten organisatorischen Herausforderungen bleiben Datenqualität und -quantität (und somit die Datenstrategie) wesentliche Grundlage und zugleich Herausforderung intelligenter Systeme. Demnach bleibt der erfolgreiche Einsatz von KI hochgradig abhängig von adäquat qualifiziertem Fachpersonal. Die Erwerbung dieser Qualifikation kann, je nach Größe des Unternehmens, über interne Schulungen, aber insbesondere auch durch externe Experten geleistet werden.

Zukunft des Handels

Zusammenfassend liegen die ökonomischen Wirkungspotenziale der KI für den Handel insbesondere in der intelligenten Automatisierung, der Funktion als Innovationskatalysator und der Unterstützung von Arbeitskräften. In Zukunft wird der Trend immer weiter hin zum automatisierten Customer-Service gehen, um auch Massenmärkte mit individualisiertem Service bestmöglich zu bedienen. Somit besteht kein Zweifel daran, dass Einzelhändler ohne umfassende Digitalisierungsmaßnahmen und schrittweise Implementierung intelligenter Systeme in relevante Handelsprozesse zukünftig kritisch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren werden. Die Einbindung künstlicher Intelligenz in den Handel schließt somit die Lücke zwischen traditionellem Händler- und Verbraucherverhalten und den (r)evolutionären Optionen eines digitalen Zeitalters, dessen Potenzial in der Industrie 4.0 bereits tiefstgehende Veränderungen induziert und dort den geltenden Standard gesetzt hat.


[3] Rich et al. (2009): Artificial Intelligence, S. 64.

[4] Executive Office of the President (2016): AI, Automation, and the Economy, S. 20ff.

[5] Pfanner et al. (2019): Künstliche Intelligenz, S. 25.

[6] Handelsdaten.de (2019): „Was sind für Sie die wichtigsten technologischen Trends der nächsten drei Jahre?“.

[7] PwC Studie (2019): Künstliche Intelligenz in Unternehmen.

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